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Der Weg zur Edelfeder

Mit einem teuren Füller schreibt es sich besser. Doch wer schön schreiben will, muss an sich arbeiten.

Von Oliver Klaffke

Ab einem gewissen Punkt wird es peinlich, wenn man sich hinsetzt, um einen Brief von Hand zu schreiben, weil es der Anlass einfach nicht verträgt eine SMS, ein Mail oder den Laserausdruck eines Word-Dokuments zu schicken. Wer will schon selber einen Liebesbrief in Helvetica 12 Punkt bekommen, das Lob vom Chef per Bullet Points als Power Point-Präsentation oder die Geburtstagswünsche gesimst? Geht nicht. Kann man nicht machen. Das hat keinen Stil. Nada.

Da muss man zu Papier und Stift greifen — und nach den ersten Zeilen ist klar: Geht auch nicht. Kein Mensch kann das lesen, selbst für den Verfasser wird der Inhalt kryptisch und gestalterisch ist das Ganze ein Armutszeugnis. Unleserlich, gekrakelt, die Buchstaben undeutlich oder nicht vorhanden. Für den Empfänger bleibt das Geschriebene ein Rätsel. Weder die Liebesschwüre noch das Lob kommen an, die Geburtstagswünsche kann man ahnen.

«Das ist auch kein Wunder», sagt Andreas Schenk. «Schreiben ist eine Übungssache wie eine Sprache aus. Die Schrift verkümmert, wenn man sie nicht jeden Tag trainiert.» Schenk lebt vom und vor allem für das schöne Schreiben: Er arbeitet in seinem Atelier für Kalligrafie am Rheinsprung in Basel inmitten von Papier, Schreibfedern und Tintenfässern und sieht von seinem Scriptorium aus zu, wie langsam die älteste Kommunikationstechnik verschwindet: die Handschrift.

Die Qualität der Handschrift ist in den letzten Jahrzehnten in den Keller gerauscht. Seitdem auch der Poschtizettel nun ins iPhone, Blackberry oder in evernote.com gewandert ist, ist auch die letzte Bastion der Handschriftlichkeit gefallen. Schuld am Niedergang der Schrift trägt zudem auch untaugliches Schreibgerät: «Der Kugelschreiber», sagt Schenk, «damit versaut man sich automatisch die Schrift.» Während die Feder eines Füllers auf dem Papier Widerstand findet und kontrolliert dahin gleitet, schiesst die Spitze des Kulis förmlich über den Bogen. «Füller und Kugelschreiber verhalten sich etwa wie Schlittschuhlaufen und mit einem Müllsack an den Füssen übers Eis rutschen», sagt er.

Wer besser schreiben möchte, braucht Selbsterkenntnis und Werkzeug, das wirklich etwas taugt. Das richtige Papier, ein guter Füller und die passende Tinte sind ein guter Start. Im Kommunikationswerkzeug aus der Zeit der Schreibstuben und Kontore steckt technisches Wissen, handwerkliche Meisterschaft und ein tiefer Sinn für Qualität. Neben den Herstellern der Millionen von Billigschreibern, die industriell gefertigt in die Veston- und Handtaschen wandern, gibt es vielleicht noch knapp zwei Dutzend Firmen weltweit, die qualitativ hochwertige Schreibgeräte in kleinen Stückzahlen und in Handarbeit herstellen. Nur wenige von ihnen gehören nicht zu den grossen Luxuskonzernen, sondern sind in Familienbesitz. So etwa Elmo & Montegrappa in Bassano del Grappa, knapp 100 Kilometer nordwestlich von Venedig gelegen.

Neben dem Werk liegt hinter einem Schmiedeisentor am Ende einer langen geraden Auffahrt jene Villa versteckt, in die Ernest Hemingway während des Ersten Weltkriegs einquartiert war und dort Teile seines Romans «In einem anderen Land» schrieb. Wenn er neue Stifte brauchte ist er die Treppe zum Haupteingang von Elmo & Montegrappa hoch gestiegen. Heute greifen eher die Mächtigen und Vermögenden zu den Schreibgeräten aus dem Hause Montegrappa. Der russische Staatspräsident Medvedjew kauft die Schreiber im Wochenrhythmus, Fidel Castro schreibt mit ihnen, Nicolas Sarkozy besitzt einen und Boris Jelzin hat seine Regierungsübergabe an Vladimir Putin mit einem Montegrappa-Füller unterschrieben und seinem Nachfolge den Füller mit den pathetischen Worten überreicht: «Mit diesem Stift übergebe ich Dir die Macht». «Danach ist der Umsatz in Russland natürlich stark angestiegen», sagt Guiseppe Aquila, CEO von Montegrappa. Das Unternehmen stellt Schreiber der Luxusklasse her. Die Einsteigermodelle beginnen schon bei einigen hundert Franken, bei weit über tausend die besonders schönen Stücke und bei mehreren tausend Franken die «Limited Editions», die als Sammlerstücke gehandelt werden. Der neuste Trend in Sachen edler Schreibgeräte sind Bespoke-Anfertigungen. Das sind Einzelexemplare die komplett nach den Wünschen und nur für den Kunden entworfen und gebaut werden. Wer so etwas möchte muss einige zehntausend Franken im Minimum ausgeben. «Nach oben gibt es keine Grenze», sagt Aquila.

Der Preis auch eines normalen Montegrappa-Füllers lässt sich verstehen, wenn man Guiseppe Aquila durch die hohen und hellen Räume der hundertjährigen Fabrik folgt. Mehr als 60 Menschen arbeiten hier und stellen die Schreibgeräte mit viel Handarbeit, teuren Materialien und einem Sinn für Qualität her, der ins Geld geht. Der Luxus fängt beim Material an, aus dem das Gehäuse der Schreibgeräte herstellt wird. Es ist aus Zelluloid, das zehnmal so teuer wie Acryl, die industrielle Konkurrenz und schwierig zu verarbeiten ist. Es wird in knapp zwei Zentimeter dicken Stangen geliefert, die wie Zuckerstangen von der Chilbi aussehen: bunt und schillernd. «Damit unsere Stifte so glitzern, wie ich es möchte, benutzen wir Zelluloid», sagt Aquila. Es herzustellen dauert ein Jahr, ein weiteres liegt es mindestens noch in Bassano zum Trocknen im Wärmeschrank, damit der Feuchtigkeitsgehalt unter zwei Prozent sinkt. Anderenfalls würde es schrumpfen – inakzeptabel für Aquila. Neben den Kostentreibern Material — neben dem Zelluloid noch Silber und Gold — ist die gesamte Fertigung Handarbeit. Die Zelluloidrohlinge werden einzeln und von Hand in eine CNS-Maschine eingespannt, die dann die Gehäuse aus dem Vollen fräst, von Hand werden sie herausgenommen und in andere Maschinen eingelegt. Allein beim Polieren müssen sie drei Arbeitsgänge durchlaufen. Mehrere Dutzend Mal wird jedes Teil des Stifts in die Hand genommen. Die Spitze des Füllers, auf die die Feder aufgesteckt wird, wird aus Ebonit aus dem Vollen gefräst, von Hand dann unter ein Mikroskop zur Qualitätsprüfung gelegt. «Knapp 40 Prozent müssen wir wegwerfen, weil sie unseren Ansprüchen nicht gerecht werden», sagt Aquila. Jedes Schreibgerät wird von Hand montiert und noch einmal einer Qualitätsprüfung unterzogen.

Die Familie Aquila war bis ins Jahr 2000 Besitzer von Montegrappa, bevor der Luxuskonzern Richemont anklopfte und ein Angebot machte, das die Familie nicht ausschlagen wollte. Zuerst unter den Fittichen von Cartier, dann unter dem Dach von Montblanc, brachte die Nobelschreibgerätemarke dem Konzern allerdings keine Fortüne. Der ehemalige Richemont Chef Norbert Platt, der den Kauf eingefädelt hatte, fragte bei einem Abendessen an, ob die Familie nicht doch wieder einsteigen wolle. Die Kompetenz war vorhanden: Guiseppe Aquila hatte in der Zwischenzeit mit Tibaldi eine neue Schreibgerätemarke im Luxussegment aufgebaut, die zum Beispiel Sondermodelle für Bentley herstellt, sein Vater ist Besitzer einer Füllerfirma in Süditalien und die ganz Familie ist seit drei Generation mit der Produktion von Schreibgeräten beschäftigt. Richemont behielt zehn Prozent der Anteile, den Rest teilt sich die Familie Aquila und konnte noch den ehemaligen Formel 1-Fahrer Jean Alesi als Investor gewinnen. «Ich bin fest davon überzeugt, dass es einen ständig wachsenden Mark für edle Schreibgeräte gibt», sagt Aquila. «Ab einem gewissen Alter und ab einer gewissen Position wollen Menschen wieder von Hand schreiben.»

Aber auch mit einem teuren Stift in der Hand löst der Gedanken an die eigene Schrift bei den meisten Unbehagen aus. «Von Hand zu schreiben ist gut», sagt Andreas Schenk. «Man muss es wieder lernen». Der erste Schritt ist die Selbsterkenntnis. Wer schöner schreiben will, sollte eine Seite Papier voll schreiben und dann die Details im Schriftbild einkringeln, die das eigene Empfinden stören: Die nur noch als Rudimente vorhandenen Buchstaben, die hässlichen Schnörkel, die verkrakelten Harken. «Klassische Problemfälle sind die n, m und u, die kaum noch zu unterscheiden sind», sagt Schenk. Oft sind die A zu breit und die i verschwinden komplett. In der Theorie ist der Makel einfach zu beheben. Man versucht die Buchstaben, die einem nicht gefallen anders zu schreiben, sucht eine Handschrift, die einem zusagt und kopiert einzelne Buchstaben. Peu à peu wird die Schrift renoviert. Und plötzlich erkennt man wieder den Spass, statt in die Tastatur zu hacken, wieder zum Füller zu greifen – vielleicht sogar für einen Liebesbrief.

(Bilder)
Der Geheimtipp
Montegrappa. Kennzeichen der meisten Schreibgeräte aus Bassano del Grappa ist das Zelluloid, das für deren Hülle verwendet wird. Kombiniert mit Silber oder Gold sorgt es für Eleganz und für ein Gewicht, das für Solidität steht.

Der Schweizer
Caran d’Ache. Edle Schreibgeräte kommen auch aus der Schweiz. Neben den klassischen und schlichten Linien hat sich das Unternehmen in letzte Zeit auf die Produktion opulenter Füller, Kulis, Druckbleistifte und Rollerballs konzentriert.

Der Klassiker
Montblanc. Die Hamburger Füller, Druckbleistifte oder Kuli mit dem Namen eines Schweizer Berges sind das Schreibstatussymbol per se. Meist klassische in schwarz und Silber gehalten sind sie das Accessoire für alle, die oben angekommen sind.

Die Noblen
Graf von Faber-Castell. Die exzellenten Füller von Faber-Castell werden durch die der Marke Graf von Faber-Castell noch überboten. Die Spezialität ist die aufwändige Verarbeitung der Oberfläche und das Innenleben, das hohen Schreibkomfort garantiert.

Die Kunstwerke
Namiki. Schreib- und Gestaltungskunst aus Japan. Mit den Federn lässt sich elegant und schwungvoll schreiben. Die Gehäuse sind von japanischen Meistern in Handarbeit bemalt oder mit der «Maki-E» Technik gestaltet; eine der grossen Handwerkskünste Asiens.

Die Avantgarde
S.T. Dupont. Seit fast 140 Jahren gibt es diese Marke, die als erste den Kugelschreiber in die Welt der gehobenen Schreibkultur eingeführt hat. Sie kombiniert neue Ideen mit klassischer Eleganz und stellt auch Accessoires vom Feuerzeug bis zum Gürtel her.

Die Zeitlosen
OMAS. Hohe Qualität, technischer Fortschritt und Kreativität haben die Norditaliener zum Trendsetter in den vergangenen fast 90 Jahren gemacht. Seitdem hat sich der ursprünglich von OMAS entwickelte achteckige Querschnitt der Füller durchgesetzt.

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Bilanz, 17/2010, Seiten 92, 93
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Bilanz, 17/2010, Seite 97
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