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Die Stille Kunst

Für Andreas Schenk ist Schreiben Meditation. Mit sicherer Hand zaubert er kunstvolle Buchstaben aufs Pergament. Wer seine Seminare besucht, erlebt, dass Kalligrafie auch eine heilsame Wirkung hat.

Noch schnell einen Schwatz mit der Floristin von nebenan, die Post unter dem Türspalt hervorgefischt, dann führt uns Andreas Schenk hinein in seine schmucke kleine Schreibstube. Nicht viel mehr als ein urgemütlicher Kachelofen und ein Schreibpult am Fenster haben darin Platz: Hier sitzt Andreas Schenk von früh bis spät und schreibt mit Feder und Tinte wunderschöne Buchstaben auf edles Papier. Kaum zu glauben, dass es im Zeitalter von Computer und E-Mail so etwas noch gibt.
Die dicken Mauern des mittelalterlichen Hauses von 1437 in der Basler Innenstadt schlucken jedes Geräusch und verstärken noch den Eindruck, in einer anderen Welt zu sein. Eine von Hand geschriebene Geburtsanzeige, die Einladung zum Fest statt per Internet übermittelt in einem schönen Couvert zugeschickt? – Das wirkt doch altbacken. «Im Gegenteil», versichert Schenk. «Ich verstehe den Wunsch meiner Kunden, sich mit etwas Handschriftlichem von der Gleichförmigkeit unserer gedruckten Dokumente abzuheben. Das Zeitalter von Computer und Internet weckt auch die Sehnsucht nach etwas so Einfachem wie einem von Hand geschriebenen Brief.»
In der Tat feiert die Kunst des Schönschreibens, die Kalligrafie, derzeit eine regelrechte Renaissance. Immer mehr Menschen scheinen die Lust am ehrwürdigen Handwerk mit Feder, Tintenfass und Pergament wieder zu entdecken. In den USA ist die Kalligrafie schon fast zum Volkssport geworden, doch auch hierzulande frönt eine wachsende Anhängerschaft der stillen Kunst. Denn die Kalligrafie hat eine Reihe positiver Nebeneffekte, die in der heutigen Zeit offenbar mehr und mehr gefragt sind: Durch die ruhigen, konzentriert ausgeführten Schreibbewegungen wirkt sie wie eine Meditation. «Man wird gezwungen, absolut bei der Sache zu sein», erläutert Schenk. «Wenn ich einen Buchstaben male, darf ich weder am vorhergehenden hängen bleiben noch an den kommenden denken – ich muss gewissermassen im Hier und Jetzt leben.» Und dieses Versinken in der Bewegung, im Schwung eines Buchstabens, tut gut. Es lässt den Alltagsstress vergessen und versetzt einen in eine angenehme Ruhe, die noch lange über das Schreiben hinaus anhalten kann. «In meinen Kursen wird der grösste Zappelphilipp ruhig», erzählt Schenk, der sowohl für Anfänger wie für Profis Seminare gibt.
In den Schnupperkursen gehe es zuerst einmal darum, die Freude an der eigenen Kreativität zu entdecken: Wie kann man einen Brief gestalten? Welche Schriften, Farben, Papierarten liegen einem? Wie lässt sich eine Initiale verzieren? «Am Anfang geht es noch nicht um den einzelnen Buchstaben», so Schenk. «Das kommt dann mit der Zeit und ist eine Frage der jahrelangen übung.»
Viel wichtiger als das millimetergenaue Gelingen der Buchstaben sei zu Beginn die Entdeckung, dass aus der stillen Beschäftigung mit sich selbst eine tiefe Befriedigung hervorgehen kann. «Man erfährt das Glück, etwas Eigenes kreiert zu haben.» Dennoch: Eine gewisse Freude am exakten Arbeiten sollte mitbringen, wer sich längerfristig auf das Schönschreiben einlassen will. Und neben dem Gefühl für Tinte und Feder auch eine gute Prise Musikalität und Sinn für Rhythmus. Denn jede Schrift, und hierbei gerät Andreas Schenk ins Schwärmen, habe ihren eigenen Takt.

Eine Kerze gegen die Nervosität
Er selbst hat sich auf eine Handvoll Schriften spezialisiert, mit denen er – je nach Wunsch seiner Kunden oder dem Textinhalt – Stammbäume, Menukarten, Konzertprogramme, Weinetiketten oder Urkunden schreibt: Der Künstler beherrscht zwei Varianten der Antiqua-Schrift, ferner die in kirchlichen Texten gebräuchliche Unziale, Variationen der diszipliniert wirkenden Fraktur und als Kursivschriften sowohl die strenge römische wie auch die liebliche Anglaise. Seit bald dreissig Jahren lebt der 54-Jährige davon, für andere Menschen Texte kunstvoll zu gestalten. Selbst im Auftrag der Regierung arbeitet er: Beim Besuch des Dalai Lama etwa durfte Schenk die offiziellen Dokumente samt Logo vorbereiten.
Bei solch wichtigen Aufträgen kann es schon einmal vorkommen, dass Schenk unter Zeitdruck steht. Doch Stress kann der Kalligraf bei seiner Arbeit ganz und gar nicht gebrauchen: «Wenn man nervös ist, macht man nur allzu schnell einen Klecks aufs Papier oder vergisst einen Buchstaben: Dann ist die ganze Arbeit dahin, und ich muss nochmals von vorn beginnen.»
Doch was tut Schenk, um sich in die nötige Ruhe zu versetzen, die es zum Schreiben braucht? «Oft zünde ich zu Beginn eine Kerze an», sagt er. Sich auf die Atmung zu konzentrieren oder eine schöne Musik aufzulegen, hilft ihm ebenfalls, den Einstieg in die Arbeit zu finden. «Das Anfangen ist meistens das Schwierigste.» Jedes weisse Blatt sei wieder eine Herausforderung, selbst nach dreissig Jahren noch. Doch die Erfahrung hilft ihm, seine Arbeit so zu planen, dass er beim Schreiben selten in Zeitnot gerät: «Genug Zeit einzuplanen, ist das allerwichtigste Mittel gegen Stress.»
Vielleicht hilft ihm auch der Blick auf die japanische Kalligrafie an der Wand, gemalt von einem buddhistischen Zen-Mönch. Das Schriftzeichen stellt einen Baum dar, der mit seinen ästen zum Himmel zeigt, gleichzeitig aber mit den Wurzeln die Erde fest umfasst. «Man muss fest im Boden verankert sein, um sich frei entfalten zu können: Das gilt auch für die Kalligrafie.»

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