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GÄNSEKIEL

kielschnitt_historisch

Schon früh dienten Gänsekiele den verschiedensten Zwecken des praktischen Lebens. So berichtet der römische Dichter Martial um 90 n. Chr., dass sie als Zahnstocher Verwendung fanden.
Die erste Erwähnung des Gänsekiels als Schreibgerät findet sich um 624 n. Chr. bei Isidor von Sevilla als «penna arvis cuius acumen in duo dividitur», d. h. «eine Vogelfeder, deren Spitze in zwei Teile geteilt wird». Um 700 n. Chr. erwähnt Adelhalmus, der Angelsachse, die Pelikanfeder als Schreibgerät.
Welche Kiele können wir verwenden, um selbst eine Schreibfeder herzustellen? Federn von Käfig-, Stall- und Masttieren sind aufgrund ihres unterentwickelten Federkleides und dem durch diese Art von Tierhaltung bedingten Kalkmangel aufgrund des eingeschränkten Bewegungsraumes nicht brauchbar.

Abb.29:
Historische Anleitung zur Zubereitung eines Gänsekiels

Wer sich eine gute Feder zubereiten will, sollte von den besten Gänsekielen nehmen. Die äussersten vier Federn eines jeden Flügels, die der Gans im Frühling von selbst ausfallen, eignen sich dazu am besten, da sie von Natur aus die härtesten sind. Die Federn von Gänsen, die die Möglichkeit hatten, ihre Flügel zum Flattern zu gebrauchen oder gar zu fliegen, sind besonders gut entwickelt und nicht spröde und lassen sich daher gut verarbeiten.

Einen guten Gänsekiel erkennt man daran, dass die Spitze etwa zwei Daumen breit wie ein Fingernagel etwas milchiger durchschimmernd ist und erst danach in den deutlich weisseren Teil übergeht. Stehen keine Kiele solcher Qualität zur Verfügung, so lassen sich andere entsprechend zubereiten. Dies geschieht erstens durch jahrelange Lagerung in nicht allzu trockener Umgebung (Vorsicht vor Motten und Milben) und zweitens durch eine besondere Zubereitung der Kielfedern. Dazu benötigen wir ein Glas Wasser, genügend feinen Flusssand, um ein kleines Pfännchen damit zu füllen, und ein sehr scharfes Messer.

Abb.30:
Härten der gewässerten Gänsekiele in erhitztem feinen Sand

Zuerst werden die Kielspitzen durch einen leicht schrägen Schnitt gekappt, das Mark mittels eines dünnen Holzstäbchens zurückgestossen und die Kiele so lange im Wasser aufgeweicht, bis sie gleichmässig weiss erscheinen. Danach wird der Sand in einem Pfännchen so erhitzt, dass die nassen Kiele, wenn sie in den heissen Sand gesteckt werden, zischen, aber keine Risse bekommen. Sie werden so lange im heissen Sand gelassen, bis sie an ihren Spitzen durchschimmernd sind wie die Fingernägel. Anschliessend schabt man mit einem scharfen Messer die feine Haut rundum von der Spitze und wischt die Fasern mit einem wollenen Lappen vom Kiel. Aus unzähligen Arten, Kiele zuzuschneiden, wähle ich hier eine einfache und zuverlässige aus, die auch von Kindern an Taubenfedern ausprobiert werden kann:

kielschnitt

Abb.31:
a: roher Kiel
b: schräg geschnitten
c: auf der Gegenseite schräg aufgeschnitten
e: Spitze nach Belieben zugeschnitten
f: mit Mittelspalt versehen und nachgeschnitten.

Abb.32:
Der Keilschnitt solte immer vom Bauch der Feder her ausgeführt werden.

- Durch einen an der rechten und der linken Flanke der Federspitze angebrachten Schnitt erhält die Kielspitze die Form eines geöffneten Vogelschnabels, von dem der untere Teil durch einen etwas weiter hinten ansetzenden Schnitt entfernt wird.

- Der jetzt federförmige Kiel wird mit dem Rücken nach unten auf eine harte Unter­ lage gelegt und die Spitze mit einem harten, scharfen Messer schräg gegen innen meisselförmig zugeschnitten. Wird dieser Schnitt in der beschriebenen Weise ausgeführt, entsteht eine scharfe Schreibkante, die uns beim Schreiben allerfeinste Linien zu fertigen erlaubt.

kiel_mittelschnitt

Abb.33:
Zum Spalten der Spitze ist eine harte Unterlage zu verwenden.

- Auf der gleichen Unterlage wird nun der Spalt in der Mitte der Federspitze ange­ bracht, wobei grundsätzlich zu beachten ist, dass ein langer Spalt zwar die Elastizität der Feder erhöht, damit zugleich aber auch die Deformation der Federspitze durch Luftfeuchtigkeit fördert. Ein kurzer Schnitt von ca. 5 mm gilt bei einer guten, nicht zu spröden Feder als Normalschnitt.

- Anschliessend werden die Backen in gewünschter Weise nachgeschnitten und der Federspitze noch der letzte Schliff verliehen.

Ein erfolgreiches Schreiben mit dem Gänsekiel bedarf einer Schreibunterlage von etwa 40-60 % Neigung, damit die Tinte nicht zu rasch aus der Feder tropft.

kielfuss

Abschliessend sei noch ein kurzer Über­ blick über die verschiedenen Arten von Federkielen gegeben:

Auerhahn- und Straussenfedern sehen wohl dekorativ aus, führen aber beim Schreiben aufgrund ihres grossen Druchmessers zu einer verkrampften Fingerhaltung.

Schwanenkiele lassen sich gut zum Schreiben der Frakturschrift verwenden, während sich Rabenkiele besonders für feine Linien und Schriftzüge eignen und sehr bequem in der Handhabung sind.

Truthahnfedern sind grösser als der Gänsekiel und eignen sich vorzüglich für alle Schriften.

Hühnerfedern taugen im allgemeinen nicht viel.

Abb.34: Kielhalter aus Holz mit Kiel

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